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Vielleicht klappt es so mit dem Lernen besser

Können Computer mit Körpersensoren motivationsbedingte Lernblockaden erkennen und die Lerninhalte entsprechend anpassen? Ein Blick in die Zukunft

Was wäre, wenn ein Lerncomputer solche Blockaden erkennen und sein Vorgehen entsprechend anpassen würde? Die Antwort auf diese Frage liefert das Projekt SensoMot, an dem sich auch das Fernlehrinstitut Dr. Robert Eckert beteiligt.
Was wäre, wenn ein Lerncomputer solche Blockaden erkennen und sein Vorgehen entsprechend anpassen würde? Die Antwort auf diese Frage liefert das Projekt SensoMot, an dem sich auch das Fernlehrinstitut Dr. Robert Eckert beteiligt.

Ein Artikel von Philip Stirm, 
Pressesprecher Referat Kommunikation - Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)

Ursprünglich erschienen im Magazin DIPF informiert.

Wer kennt das nicht: Beim Lernen ist die Motivation weiterzumachen manchmal so richtig im Keller. Das kann unter anderem am Lernstoff liegen. Ist der zum Beispiel zu leicht oder spricht einen die Form der Darstellung nicht an, ist der Weg zum Motivationsloch nicht weit. Wäre es nicht hilfreich, wenn ein Computer solche Lernblockaden erkennen und ein alternatives Vorgehen vorschlagen könnte – beispielsweise Aufgaben, die einen mehr fordern, oder solche mit größerem Praxisbezug? Im Ergebnis könnten die Freude und das Interesse am Lernen wieder steigen. Was nach Zukunftsmusik klingt, ist vielleicht demnächst Realität. Zumindest arbeitet das DIPF gemeinsam mit mehreren Partnerorganisationen an einer solchen Lösung.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Kooperationsprojekt hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Zum einen sollen Sensoren gefunden werden, die man möglichst unaufdringlich am Körper der Lernenden anbringen kann und die dort Signale erfassen, mit denen sich der Grad der Motivation bestimmen lässt. Zum anderen soll eine Lernsoftware entstehen, die diese Messungen nutzt, um sich im Bedarfsfall motivationsförderlich anzupassen. In beiden Feldern gilt es, viele Herausforderungen zu meistern.

#1Die Partner des Projektes SensoMot

Das Projekt „Sensorische Erfassung von Motivationsindikatoren zur Steuerung von adaptiven Lerninhalten“ (SensoMot) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Schwerpunktes „Erfahrbares Lernen“ gefördert. Sechs Partnereinrichtungen sind für die Durchführung verantwortlich: 

  • die Nagarro AG (Projektleitung)
  • das DIPF (wissenschaftliche Koordination)
  • das Fernlehrinstitut Dr. Robert Eckert
  • die Technische Universität Ilmenau
  • die Medical School Hamburg 
  • und die Leuphana Universität Lüneburg. 

Weitere Informationen: http://bit.ly/SensoMot 

Kontakt: Dr. Oliver Schneider, Oliver.Schneider@dipf.de

Die Suche nach dem richtigen Sensor
„Ursprünglich wollten wir mit handelsüblichen Körpersensoren arbeiten. Wir dachten an Fitness-Tracker-Armbänder oder Smartwatches“, erzählt Dr. Oliver Schneider vom DIPF, der wissenschaftliche Koordinator des Projektes. Doch wie sich herausstellte, reichen die von diesen „Wearables“ gemessenen Daten – zum Beispiel zum Blutdruck oder zur Aktivität der Schweißdrüsen – nicht aus, um sich ein klares Bild von der Motivation zu machen. Außerdem ist meist kein direkter Zugriff auf die Daten möglich. Sie werden in der Regel zunächst in der Cloud der Hersteller und damit oft auf Servern in den USA gespeichert. „Das geht schon aus Datenschutzgründen nicht“, stellt Schneider klar. Und natürlich müssen die Messergebnisse direkt vorliegen, wenn eine Software umgehend darauf reagieren soll.

Inzwischen ist man einige Schritte weiter. Eine vielversprechende Lösung scheinen Geräte zur Hirnstrommessung (Elektroenzephalografie = EEG) zu sein, denn die Aktivität in bestimmten Regionen des Gehirns erlaubt Rückschlüsse auf die Motivation. Und nicht nur das: Das Team hat auch ein Gerät ausfindig gemacht, das die Daten sofort offenlegt. Natürlich lassen sich Armbänder oder Uhren unbemerkter am Körper tragen als das angedachte EEG-Produkt, das wie eine Mischung aus dünnem Stirnreif und Kopfhörer wirkt. Doch die Alternative wäre, dass die Lernenden zwischendurch einen Fragebogen zu ihrer Motivation ausfüllen, was sie deutlich stärker aus dem Lernfluss rausbringen würde. Die Hirnstrommesser werden nun vertiefend erprobt.

Die Lernumgebung: Vorschläge statt unbemerktem Eingreifen
Wenn die Motivationsdaten dann einmal vorliegen, bleibt die Frage, wie man darauf reagiert? An dieser Stelle kommt die adaptive, computerbasierte Lernumgebung ins Spiel, die parallel aufgebaut wird. Sie soll andere Möglichkeiten anbieten, wenn die Inhalte die Lernenden nicht mehr so fesseln. Oliver Schneider erläutert: „An Stelle eines Textes könnten zum Beispiel eine 3D-Grafik oder eine Aufgabe, bei der man die Inhalte an einem Modell ausprobieren kann, besser passen. Auch die Lerngeschwindigkeit lässt sich variieren.“ Schritt für Schritt testen er und seine Kolleginnen und Kollegen, welche Optionen sich wann anbieten könnten, um der Motivation wieder auf die Sprünge zu helfen. Hier ist noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig.

Was aber bereits feststeht: Das System wird die Lektionen nicht automatisch ändern. Stattdessen unterbreitet es unaufdringlich Vorschläge. „Lernende wollen selbst bestimmen, wie sie vorgehen“, erläutert der wissenschaftliche Koordinator. Das hat ihn einst selbst überrascht. Er war früher im Bereich des interaktiven Geschichtenerzählens mit multimedialen Webtechniken tätig und von dort kannte er das so nicht: „Da hat es die Nutzerinnen und Nutzer eher frustriert, wenn viele Wege zur Auswahl standen. Die haben gedacht, dass sie einen Teil der Geschichte verpassen, wenn sie sich festlegen, also erfolgten Anpassungen eher unbemerkt.“ Erst als er sich dann im Rahmen seiner Doktorarbeit intensiver mit adaptiven Systemen im E-Learning auseinandersetzte, wurde ihm klar, dass das auf das Lernen nicht übertragbar ist.

Vielfältige Kompetenz
Oliver Schneider kann viele solcher Erfahrungen einbringen, denn in seiner Laufbahn, die in der freien Wirtschaft begann und ihn später in die Wissenschaft führte, ist er bereits mit einigen Themenfeldern in Berührung gekommen. Neben den bereits genannten zählen dazu Elektrotechnik, Audio- und Video-Produktionen, Informatik und mobile Computerspiele. „Alle meine Arbeiten hatten eigentlich immer etwas mit Medien zu tun, nur aus verschiedenen Perspektiven“, blickt der gebürtige Hesse zurück.

Breit gefächerte Expertise ist für das Projekt wichtig. Denn es sind nicht nur unterschiedliche Institutionen aus der Wissenschaft und der Wirtschaft beteiligt, es geht auch darum, Software- und Hardware-Entwicklung, Motivationsforschung, Daten-Analyse sowie Didaktik und E-Learning klug miteinander zu verbinden. Für die Koordination all dieser Elemente bringt auch Schneiders Arbeitsbereich am DIPF, das Zentrum für technologiebasiertes Assessment, an dem ein ganzes Team an dem Vorhaben mitarbeitet, gute Voraussetzungen mit. Das Zentrum entwickelt innovative computergestützte Verfahren, mit denen sich Lernergebnisse messen lassen, und war schon oft an interdisziplinären Projekten beteiligt.

Sicherheit, Transparenz und Ziele
Erhöhtes Augenmerkt legt das Vorhaben auch auf die genannten Sicherheitsaspekte. Wissenschaftler Schneider weiß: „Personalisierte Daten zur Gesundheit und zum Lernverhalten sind hochsensibel.“ Daher sollen sie möglichst komplett in der Hand der Nutzenden bleiben und nur auf den von ihnen bedienten stationären Computern gesichert werden. Die Projektbeteiligten wollen außerdem vermeiden, dass die Lernenden sich fremdgesteuert fühlen. Hier lautet die Antwort Transparenz. So werden alle Forschungsdaten offengelegt. Und in einer zukünftigen Entwicklungsstufe sollen die Nutzerinnen und Nutzer auf Wunsch auch genau einsehen können, warum ihnen ein alternativer Lernweg nahegelegt wird. „Wir wollen es bewusst nicht so machen wie viele Internet-Angebote, die auf Basis versteckter, nicht nachvollziehbarer Algorithmen automatisch Vorschläge unterbreiten“, betont der DIPF-Forscher.

Ein Zwischenziel ist klar formuliert. Für zwei Lernszenarios will das Projektteam Prototypen seiner Anwendung entwickeln und anschließend evaluieren: zum einen für die universitäre Lehre am Beispiel der Nanotechnologie, zum anderen für die berufliche Fernlehre in der Elektrotechnikerausbildung. Die beiden Bereiche unterscheiden sich nicht nur thematisch, sondern auch nach Anforderungsniveau und Lernform – die Ausbildung erfolgt beispielsweise praxisorientierter. So wollen die Partner die breiten Einsatzmöglichkeiten des Lernsystems dokumentieren.